Diese Zahlen habe ich
auch schon öfter gehört, sie werden sehr gerne herangezogen,
um zu beweisen, daß die Einschätzung der Eltern in
den meisten Fällen überzogen ist.
Ich glaube aber, daß
diese Diskrepanz andere Ursachen hat. Mehrere sind möglich:
Zum Beispiel die Kinder in unserer Mailingliste sind zum überwiegenden
Teil NICHT getestet. Die Eltern, die sich an mich und wohl auch
an euren Verein wenden, haben keinen Ehrgeiz, ein hochbegabtes
Kind vorweisen zu können, ganz im Gegenteil. Viele hoffen
eher, daß sie sich täuschen, sie suchen Hilfe und
Austausch, nicht Bestätigung. Also eine ganz andere Voraussetzung
als bei denen, die sich an eine Beratungsstelle wenden, um Ihre
Kinder testen zu lassen.
Ohne jetzt jemandem etwas unterstellen zu wollen, kann man vielleicht
vorsichtig so formulieren: die Eltern, die bei ihren Kindern
zu Recht eine überdurchschnittliche Begabung vermuten, brauchen
entweder keine Bestätigung durch eine Beratungsstelle, weil
sie sich ihrer Sache sicher sind, oder sie sind sich der Begabung
ihrer Kinder so unsicher, daß sie sich eher an "Rat-
und Hilfestellende Institutionen" wenden, als an eine Stelle,
die IQ-Tests durchführt.
Ein weiterer Grund ist
natürlich der, daß das Testen von Kindern sehr viel
Erfahrung voraussetzt. Das Ergebnis ist immer abhängig von
der Tagesverfassung des Kindes, von seiner Bereitschaft, mitzumachen,
vom Einfühlungsvermögen des Testers, von der angewandten
Testmethode und davon, ob die Chemie zwischen Tester und Kind
auch stimmt. Viele hochbegabte Kinder verweigern, einer fremden
Person ihre Fähigkeiten zu zeigen, sie stellen sich dumm.
Man kann nur dann annehmen, daß das Kind all sein Wissen
und Können gegeben hat, wenn es nach dem Test positives
beichtet und so etwas am liebsten jeden Tag machen würde.
Und last but not least:
IQ-Tests sind nicht das alleinige Mittel, die Intelligenz eines
Menschen festzustellen. Viele Komponenten, die zu einer Hochbegabung
genauso dazugehören, wie soziale Kompetenz, Begabung in
musisch-kreativen Bereichen, Konzentrationsfähigkeit, Wißbegierde,
Interesse, Lerneifer, Führungsqualitäten etc etc werden
durch einen IQ-Test nur ansatzweise erfaßt. Im Vordergrund
muß immer das Kind mit seinem individuellen Begabungsprofil
stehen, niemals darf es auf eine simple Zahl reduziert werden.
Unter diesem Aspekt
sind die oben genannten Zahlen nachvollziehbar: nur wenige hochbegabte
Kinder werden einem Psychologen vorgestellt unf später gestestet,
nämlich nur die, die Schwierigkeiten in Kindergarten oder
Schule haben, was ja nicht bei allen zutrifft.
Viele hochbegabte Kinder verhalten sich zu Hause völlig
anders als in der Schule/im Kindergarten oder in eienr Testsituation,
besonders Mädchen neigen dazu, ihre Fähigkeiten zu
verstecken.
Im großen und ganzen kann man den Eltern durchaus zutrauen,
ein Gefühl für die Begabungen und den Förderbedarf
ihrer Kinder zu haben. Mit Hilfe von Zahlenspielereien wie der
eingangs erwähnten zu behaupten, 85% der Eltern würden
ihre Kinder überschätzen, würden Hochbegabung
annehmen, wo keine vorliegt, ist meiner Meinung nach einfach
falsch.
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Meine Antworten geben nur meine ganz persönliche Meinung wieder.
Meine An- und Einsichten über hochbegabte Kinder begründen sich
in erster Linie auf den Gesprächen in unserer Mailingliste,
auf diverse Literatur sowie auf das Zusammenleben mit meinen Kindern)